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Hintergrund
Deutschland will mehr tun fürs Klima. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im März 2021 hat die Bundesregierung verkündet, dass bis 2030 die CO2-Emissionen um 65% gegenüber dem Niveau des Jahres 1990 sinken sollen und nicht - wie vorher geplant - um 55%. Dafür braucht es grundsätzlich mehr elektrische Energie aus erneuerbaren Quellen als bisher geplant.
Je nachdem wie hoch der Bedarf an elektrischer Energie für das Jahr 2030 geschätzt wird, ergeben sich gänzlich andere Größenordnungen, in denen Wind- und Sonnenkraftanlagen ausgebaut werden müssen, um dieses 65%-Ziel erreichen zu können.

Wie entwickelt sich der zukünftige Energiebedarf in Deutschland?
Bisher ging das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) davon aus, dass sich der Stromverbrauch in den nächsten neun Jahren bis zum Jahr 2030 nicht wesentlich verändern wird und bei rund 580 Milliarden kWh bleibt. Schaut man in die Vergangenheit, erscheint das nicht falsch. „In den letzten zehn, 20 Jahren war der Stromverbrauch relativ konstant", sagte Johannes Wagner vom Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität zu Köln (EWI) der deutschen Welle. „Wir hatten über einen langen Zeitraum einen Bruttostromverbrauch von etwa 600 Milliarden kWh. Der ging nur 2020 relativ stark runter aufgrund von Sondereffekten durch Corona."
Das muss aber nicht für die Zukunft gelten. Verschiedene Experten gehen davon aus, dass die bisherige Planung der Bundesregierung zu zurückhaltend ist. Selbst SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz kritisierte unlängst indirekt seinen Ministerkollegen Peter Altmaier (CDU): „Wer behauptet, dass der Stromverbrauch bis 2030 gleichbleibt, belügt sich selbst und das Land.“
Was also, wenn der Stromverbrauch gar nicht gleich bleibt, sondern vielleicht sogar stark steigt? Das ist nämlich das Szenario, von dem verschiedene Energieexperten ausgehen. „Die Expertenkommission zum Monitoring der Energiewende, der ich angehöre, hat einen Wert zum Stromverbrauch abgeschätzt, der signifikant über dem der Bundesregierung liegt", sagt Veronika Grimm, Mitglied des Sachverständigenrats der Regierung (der „Wirtschaftsweisen"). „Wir bewegen uns rund um einen Wert von 650 Milliarden kWh und sind damit noch am unteren Rand des Spektrums", so Grimm im Gespräch mit der deutschen Welle im Juli 2021.

Energiebedarf im ersten Halbjahr 2021
Laut Zeit Online wurde im ersten Halbjahr des Jahres 2021 mehr Energie benötigt und mehr CO2 emittiert, als im Vorjahreszeitraum mit ca. 600 Milliarden kWh. Der Anteil fossiler Brennstoffe stieg dabei im Jahresvergleich.
Ein eher kühler Winter (2020/2021) und das Wiederanlaufen der Wirtschaft nach dem Corona-Einbruch ließen den Energiebedarf in Deutschland im ersten Halbjahr 2021 steigen. Nach Berechnungen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen (AGEB) legte der Verbrauch, gegenüber dem Vorjahreszeitraum, um 4,3% zu, auf ca. 625 Milliarden kWh.
Weil mehr Strom mit Braun- und Steinkohle produziert wurde als im Vorjahreszeitraum, erhöhten sich die Kohlendioxidemissionen um 6,2%. Der Verbrauch von Braunkohle stieg in den ersten sechs Monaten dieses laufenden Jahres um rund ein Drittel, der von Steinkohle um fast 23%. Der Anstieg der fossilen Brennstoffe bei der Stromerzeugung ist vor allem darauf zurückzuführen, dass weniger Windstrom erzeugt wurde.

Schätzungen des zukünftigen deutschen elektrischen Energiebedarfes
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier legte am 13.07.2021 eine erste Neuschätzung des deutschen elektrischen Energiebedarfes im Jahr 2030 vor.
In der Pressemitteilung des BMWi vom 13. Juli 2021 führt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hier unter anderem aus: „Die Neufassung des Klimaschutzgesetzes und unsere neuen ambitionierten Klimaziele, die Bundestag und Bundesrat Ende Juni 2021 verabschiedet haben, erfordern eine Anpassung unserer Analysen zum Stromverbrauch 2030.“
Heute ist schon klar zu erkennen, dass die zukünftige deutsche Energieversorgung im Kern auf zwei Energieträgern beruhen wird. Zum einen auf Strom aus erneuerbaren Energien und zum anderen auf Wasserstoff, der mit der Hilfe erneuerbaren Energien erzeugt wird.
Eine erste Abschätzung des Stromverbrauchs im Jahr 2030, die von der Prognos AG im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums erstellt wurde, kommt auf einen Stromverbrauch zwischen 645 und 665 Milliarden kWh. Dabei wurden folgende Annahmen getroffen: 14 Mio. Elektro-Pkw, 6 Mio. Wärmepumpen und 30 Milliarden kWh Strom für grünen Wasserstoff.
Laut der deutschen Welle schätzt die Denkfabrik Agora Energiewende den elektrischen Energiebedarf im Jahr 2030 ebenfalls auf 650 Milliarden kWh. Das EWI rechnet damit, dass in neun Jahren 685 Milliarden kWh benötigt werden. Der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) geht von 745 Milliarden kWh im Jahr 2030 aus und das Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme (ISE) rechnet sogar mit einem Energiebedarf von 780 Milliarden kWh in 2030. Also 70 bis 200 Milliarden kWh mehr, als das Wirtschaftsministerium aktuell prognostiziert.

Höherer Energiebedarf durch E-Autos, Wärmepumpen und Elektrolyseure
Der Bedarf an Energie wächst durch den Wechsel zur E-Mobilität und durch die sich ändernde Heizung der Gebäude (z.B. mit elektrisch versorgten Wärmepumpen). Außerdem zeichnet sich ab, dass die Industrie auf synthetische Energieträger, wie z.B. Wasserstoff, umstellen muss. Für die Herstellung von grünem Wasserstoff durch Elektrolyse entsteht wiederum ein erhöhter Bedarf an elektrischer Energie.
„Allein das Ziel der Bundesregierung, bis zum Jahr 2030 Elektrolyse-Kapazitäten von fünf Gigawatt zu schaffen, bringt ja einen ganz erheblichen Strom-Mehrbedarf mit sich. Dafür muss man ungefähr 20 Milliarden kWh Strom zusätzlich veranschlagen", sagt Veronika Grimm. Dieser Energiebedarf entspricht mehr als einem Sechstel der gesamten im Jahr 2020 zur Verfügung gestellten Energie durch Windenergie.
Es wird also mehr Strom verbraucht werden. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch Effizienzgewinne, die den Stromverbrauch senken. Die Bundesregierung hat sich in diesem Bereich das Ziel gesetzt, durch mehr Energieeffizienz den Stromverbrauch bis zum Jahr 2050 um 25% gegenüber 2008 zu senken. Diese Effizienzgewinne können aber den Mehrbedarf an elektrischer Energie nicht ausgleichen.
Außerdem werden volkswirtschaftlich hoch rentable Effizienzpotenziale bislang nicht systematisch genutzt, obwohl bereits heute marktreife Technologien bereitstehen würden, lautet die Kritik von Agora Energiewende.

Wie groß muss der Ausbau der Erneuerbaren Energien sein?
Geht man von den Stromschätzung der Agora Energiewende aus, dann müsste Deutschland bis 2030 jährlich ungefähr zehn Gigawatt Photovoltaik, 1,7 Gigawatt Wind an Land und vier bis fünf Gigawatt Wind auf See ausbauen. Diese Leistungen wurden in den vergangenen Jahren nur in den Rekord-Ausbaujahren erreicht.
Ohne die europäischen Nachbarn wird es wohl auch nicht gehen. „Aktuell exportiert Deutschland Strom ins Ausland", sagt Johannes Wagner (EWI), „mittelfristig muss damit gerechnet werden, dass Deutschland erstmal zum Netto-Importeur wird.“
Es werde durchaus herausfordernd und man werde viele Hebel in Bewegung setzen müssen, um den Ausbau der erneuerbaren Energien zu forcieren, sagt auch die Sachverständige Veronika Grimm.

Quellen:
Deutsche Welle, ZEIT ONLINE, dpa, BDEW, Statista, BMWi, AGEB, ZSW, ISE, Agora Energiewende, EWI

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